Aktuelle Betrachtungen

Wort an die Gemeinde

Liebe Gemeindeglieder und Interessierte,

Heute schon gefastet?

Die Stadt Frankfurt (am Main) hat es erneut getan: die sogenannte Ramadan-Beleuchtung angeschaltet. Zwischen dem 28.2. und dem 30.3., also während des muslimischen Fastenmonats Ramadan, leuchtet ein „Happy Ramadan“ in der Innenstadt. Man kann daran einiges aussetzen, z.B. ob die Freßgass schon des Namens wegen ein geeigneter Ort dafür ist, oder ob man die Frankfurter Muslime auf Englisch grüßen sollte, oder ob es beim Ramadan vor allem darauf ankomme, dass er Happy sei. Aber das mögen sie in Frankfurt entscheiden. Wahrscheinlich aber erhält durch eine solche Aktion die Praxis des Fastens eine gewisse Aufmerksamkeit, zumal sich der Ramadan teilweise mit der christlichen Fastenzeit überschneidet.

Zunächst ist Fasten ein Ritual, das in vielen Religionen beheimatet ist. Menschen leisten über einen bestimmten Zeitraum Verzicht: auf bestimmte Nahrungs- und Genussmittel, auf Sexualität oder auch auf bestimmte Handlungen. Dieser Zeitraum wird nicht individuell gewählt, sondern wird durch die Religionsgemeinschaft vorgegeben. Sofern es sich dabei nicht um eine kleine Minderheit handelt, gewinnt das Fasten eine gewisse Öffentlichkeit. Dadurch entsteht einerseits sozialer Druck, sich am Fasten zu beteiligen, andererseits ist gerade Verzicht etwas, was in Gemeinschaft leichter durchzuhalten ist. Die konkreten Regeln unterscheiden sich dabei in den einzelnen Religionen durchaus. So gilt das Fasten während des Ramadans nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang (was in im Polargebiet vor größere Probleme stellen kann), während im Christentum die Sonntage vom Fasten ausgenommen sind.

Dabei hat die vorösterliche Fastenzeit, die mit dem Aschermittwoch beginnt, weniger damit zu tun, dass man angesichts des bevorstehenden Leidens und Sterbens Jesu sich ein paar Freuden verkneifen sollte. Vielmehr geht es um die (innere) Vorbereitung auf das bevorstehende Fest: so wie ein Sportler vor einem Wettkampf oder ein Musiker vor einem großen Konzert nicht Party macht, sondern trainiert bzw. übt, so sollen Christen vor Ostern bzw. Weihnachten (ja, auch die Adventszeit ist ursprünglich eine Fastenzeit!) eben nicht Zerstreuung suchen, sondern Sammlung und Konzentration.

Nun hat im christlichen Bereich das religiöse Fasten stark an Bedeutung verloren. Evangelische Theologen argwöhnten schon immer, dass durch das Fasten Gott sozusagen „beeindruckt“ werden solle und man sich damit ein Verdienst erwerben wolle, was aber gar nicht möglich sei. Und die Gemeindeglieder haben sich diesen Vorbehalt gern zu Eigen gemacht. Aber auch viele katholische Christen sind in dieser Hinsicht inzwischen deutlich nachlässiger geworden.

Gleichwohl hat das Fasten in ganz anderen Zusammenhängen an Popularität gewonnen. Dabei geht es weniger um die Seele als den Leib: Fasten sei gesund, führe zu Gewichtsabnahme, reinige den Körper von schädlichen Substanzen usw. Menschen buchen für viel Geld eine Heilfasten-Kur, andere praktizieren sogenanntes Intervall-Fasten oder nehmen über einen gewissen Zeitraum nur Säfte zu sich. Das ist insofern nicht überraschend, als für viele Menschen die Ernährung (die richtige Ernährung) zu einer Art Religions-Ersatz geworden ist. Ziel ist dabei nicht ewige Seligkeit, sondern möglichst langes körperliches (und geistiges) Wohlbefinden.

Aber es gibt auch Initiativen, die die geistliche Dimension des Fastens betonen. Seit 40 Jahren gibt es in der Evangelischen Kirche die Aktion „7 Wochen ohne“, die nach eigenem Bekunden dazu anhält, die Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern bewusst zu erleben und zu gestalten. Wichtiger als der Verzicht auf Schokolade und Nikotin sei dabei das „Fasten im Kopf“: sieben Wochen lang die Routinen des Alltags zu hinterfragen, neue Perspektiven einzunehmen und dabei zu entdecken, worauf es im Leben ankommen sollte. Wenn nun das Motto der diesjährigen Aktion lautet: „Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik“, so mag man natürlich fragen, ob nicht 52 Wochen ohne Panik viel besser wären (zumal die wenigsten nur schwer auf Panik verzichten können), aber gut: es wäre immerhin ein Anfang.

Ich selbst habe es in den vergangenen Jahren mit dem Fasten sehr unterschiedlich gehandhabt. Manches Jahr habe ich mir für diese Zeit einen Verzicht auferlegt, andere Jahre hingegen nicht. Wichtig erscheint mir dabei aber vor allem zweierlei:

  • Ich sollte mir im Klaren darüber sein, warum ich das tue; und mich fragen, ob dieser Grund vielleicht „meine Religion“ ist. „Das, woran du dein Herz hängst, das ist eigentlich dein Gott“ hat Martin Luther einmal geschrieben. Mancher wird sich vielleicht wundern, was bei ihm die Stelle Gottes einnimmt und sich fragen, ob das eine Fehlbesetzung sein könnte.
  • Es geht nie nur darum, worauf ich verzichte, sondern noch mehr darum, was ich stattdessen tue. Wenn ich während der Fastenzeit auf Schokolade verzichte, aber ständig an Schokolade denken muss, ist nichts gewonnen. Kann ich vielmehr diese Zeit nutzen, um zum Wesentlichen im Leben durchzudringen: woran ich guten Gewissens mein Herz hängen kann, was auch noch Bestand hat, wenn es nicht so läuft wie geplant, was mich tragen kann in guten wie in schweren Zeiten?

Und so gesehen kann die Fastenzeit durchaus eine fröhliche Zeit werden. Ob sie das in Frankfurt mit ihrer Beleuchtung im Sinne hatten?

Ihr Pfarrer Dr. Martin Beyer

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