Wort an die Gemeinde
Wer sich in Gefahr begibt…
Liebe Gemeindeglieder und Interessierte,
haben Sie schon einmal überlegt, wie vielen Warnhinweisen Sie täglich begegnen? Vor dem möglicherweise verstörenden Inhalt von Filmen wird gewarnt, abgepackte Lebensmittel könnten Spuren von wer weiß was enthalten; die Verpackung des Staubsaugers darf nicht in die Hände von Kleinkindern geraten, sie könnten sie verschlucken, von der Bahnsteigkante möchte man – falls der Zug tatsächlich einfährt – bitte zurücktreten; und wenn sich das Fenster tatsächlich öffnen ließe so möge man sich um Himmels willen nicht hinauslehnen. Aber es wird nicht nur gewarnt; es wird auch allerlei „zur Sicherheit“ getan: der Befund ist eigentlich unauffällig, aber zur Sicherheit wird eine weitergehende Untersuchung angeraten; wir hatten uns für den Termin fest vereinbart, aber zur Sicherheit fragen wir noch einmal nach; das Kind ist eigentlich groß genug, den Weg allein zurückzulegen, aber zur Sicherheit fahre ich es lieber mit dem Auto hin. Und vor die Wahl gestellt bauen wir ein Spielgerät lieber ab oder verzichten auf eine Veranstaltung als dass wir in Kauf nähmen, dass da etwas passieren könnte.
Unser Bemühen, Gefahren und Risiken zu minimieren oder gar auszuschließen, ist dabei nicht erfolglos geblieben. Wir leben in vielerlei Hinsicht deutlich sicherer als unsere Vorfahren; die steigende Lebenserwartung ist ein kaum zu leugnendes Indiz.
Aber es fühlt sich nicht so an, denn das Leben bleibt gefährlich. Es mögen nicht mehr die Gefahren früherer Zeiten sein, vor denen wir uns fürchten müssen, aber andere sind nachgewachsen. Und es passiert ja trotzdem immer mal was; wir lesen davon in der Zeitung, sehen es im Fernsehen und sind entsetzt. Dass statistisch gesehen der gefährlichste Platz das eigene Zuhause ist, macht die Sache nicht besser.
Wir haben – so scheint es – eine tiefe Abneigung gegen Risiken und Gefahren; eigentlich dürfte nichts passieren. Und wenn doch, dann ist das Geschrei groß: wie konnte das passieren? Und wer ist schuld daran? Und was können wir alles tun, damit sich das nicht wiederholt?
So gesehen ist es erstaunlich, dass es Menschen gibt, die sich freiwillig in Gefahr begeben (und da meine ich jetzt nicht die Bungee-Springer, Downhill-Fahrer oder Wingsuite-Flieger, denen es vor allem um den Kick dabei geht), sondern ich meine unsere Feuerwehr-Leute.
Natürlich, bei der Feuerwehr zu sein, hat auch seine Reize: Geselligkeit wird großgeschrieben, man hat Umgang mit toller Technik, erlebt Kameradschaft; aber das ist ja nicht die Hauptsache. Feuerwehren gibt es, weil es Gefahren gibt. Und Feuerwehren sind dazu da, diese Gefahren abzuwehren, ihnen vorzubeugen und sich ihnen im Ernstfall zu stellen. Und das heißt konkret: von einem Feuerwehrmann bzw. einer Feuerwehrfrau wird erwartet, dass sie sich im Einsatzfall in Gefahr begeben. Nicht aus Leichtsinn oder Abenteuerlust, sondern um andere daraus zu befreien.
Natürlich tun sie das im Vertrauen auf die Kameraden, die ihnen zur Seite stehen und im Zweifelsfall nicht zögern würden, sich für sie genauso einzusetzen. Aber das ändert nichts daran, dass hier Menschen etwas tun, was irgendwie aus der Mode gekommen zu sein scheint: nicht das eigene Wohlbefinden und das eigene Leben an erste Stelle zu setzen, sondern bereit zu sein, es im Gefahrenfall für andere zu riskieren.
Und das ist ein tatsächliches Risiko, nicht wie beim Videospiel, wo man mit einem Wisch das Programm beenden kann und im Zweifelsfall mehrere Leben hat oder einfach noch einmal von vorn beginnt.
Viele Feuerwehren feiern in diesen Wochen mit einem Volksfest ein Jubiläum. Über all dem Bier und der Bratwurst und dem lustigen Spektakel für die Kinder sollte dabei aber nicht vergessen werden, dass es hier um eine höchst ernste und wichtige Sache geht. Die Feuerwehr erinnert uns daran, dass unser Leben gefährdet ist und bleibt – auch wenn wir nicht gern davon reden. Und sie versammelt Menschen, die bereit sich, sich dieser Gegebenheit zu stellen – um anderer willen.
Jesus hat einmal gesagt, dass niemand größere Liebe habe als der, der sein Leben lasse für seine Freunde. So gesehen ist es buchstäblich ein Liebesdienst, den die Feuerwehrleute da an uns tun. Und solche Jubiläen sollten ein guter Anlass sein, ihnen dafür zu danken. Und unserem Land, unserer Gesellschaft bleibt nur zu wünschen, dass ihnen nie die Feuerwehrleute ausgehen mögen – nicht, weil es so oft brennt, sondern weil es demnach Menschen gibt, die bereit sind, ihr Leben zu gefährden, um das anderer zu schützen und zu retten.
Ihr Pfarrer Dr. Martin Beyer
